Familienbesuche und (Freuden-)Tränen
Gerade haben wir einen kleinen Film aus Kenia bekommen (zu sehen auf unserer offenen Facebook-Seite „Harambee“) mit Ausschnitten von Familienbesuchen. Vielleicht auch, weil sich das Jahr dem Ende zuneigt, hat mich das sofort zurückversetzt in so viele Szenen, die ich bei solchen Besuchen mittlerweile erleben durfte. Ich denke, für die Patinnen und Paten der Kinder, die besucht werden, ist das immer ein besonderes Highlight, wenn sie durch Fotos und Berichte „ihr“ Kind, seine Familie und die Lebensumstände etwas näher kennenlernen können. Ja, manchmal wird es dann „teuer“, weil z.B. ein Bett gebraucht wird, oder schlimmer noch, das Dach repariert oder gar eine Hütte neu gebaut werden muss. Aber alle können sich auch darauf verlassen – wir sammeln Spenden und im Zweifelsfall springt Gabriela Vonwald persönlich ein und finanziert alles Nötige.
Dass die Probleme der Familien überhaupt entdeckt werden, dass wir überhaupt die Möglichkeit bekommen, ihnen zu helfen, das verdanken wir zum größten Teil ihrem Einsatz. Nun habe ich ja seit einiger Zeit das große Glück, noch näher dran zu sein, ich war mittlerweile fünfmal vor Ort und durfte auch selbst schon Familien zuhause besuchen. Einige Male mit Gabi gemeinsam, einige Male auch „alleine“, also gemeinsam mit einer unserer Sozialarbeiterinnen und einem Fotografen. Mittlerweile habe ich etwas Übung, ich kenne den Ablauf, ich bin auf einiges gefasst. Ich versuche, mit ebenso wachsamen Augen von einer Hütte zur nächsten zu gehen, wie Gabi das tut. Ich versuche, dort hinzusehen, wo es sonst niemand macht. Ich versuche, die Schicksale zu begreifen und zugleich in Lösungen zu denken, wie Gabi das tut. Nun, immerhin versuche ich es.
Und es erscheint mir so selbstverständlich, weil Familienbesuche das Herzstück unserer Hilfe sind. Ja, heute gibt es zwei großartige Schulen, wunderbare Partnerschulen, Landwirtschaft, tolle Gebäude, … aber die unmittelbarste, allernötigste Hilfe ist die direkt in den Familien. Heute bei diesem Video ist mir dennoch richtig bewusst geworden, wie ungewöhnlich es ist, dass Gabi auch nach vielen Jahren bei jedem ihrer Aufenthalte vor Ort Familienbesuche macht. Nicht nur, weil Mitarbeiter, Vorstände – geschweige denn Gründer – anderer Hilfsorganisationen lieber in gut klimatisierten Büros oder Hotels herumsitzen, als in die Familien zu gehen, die in ihren Projekten „betreut“ werden. Ungewöhnlich auch nicht nur deshalb, weil Gabi 67 Jahre alt ist und Familienbesuche in Hitze, Staub und Dreck ein absoluter Knochenjob sind. Ungewöhnlich vor allem deshalb, WIE Gabi Familienbesuche macht.
Das sage nicht nur ich, sondern auch die Menschen vor Ort – Mama Karembo ist die Einzige, die wirklich zu uns kommt und zuhört. Das finden auch alle aus dem kenianischen Team, die schon einmal bei Familienbesuchen dabei waren. Nicht lange zu zögern, sondern einfach tun, in die Hütten gehen, Menschen umarmen, ihnen vertrauensvoll Hilfe anbieten und gleichzeitig liebevoll-streng ins Gewissen zu reden – das macht nur Mama Gabi. Und ganz besonders: Menschen in die Augen zu schauen. „Sie sieht uns wirklich“, das erstaunt alle am meisten. Ich kenne diesen Blick, kombiniert mit einer simplen Frage, bei dem man sich ganz plötzlich wie ein offenes Buch fühlt, und zugleich weiß, dass man Gabi Vonwald vertrauen kann. Ich kann nur sagen, diesen Moment vergisst man nicht.
In ein paar Wochen reisen gleich mehrere unserer Paten nach Kenia, auch sie wollen gern mit Gabi Familienbesuche machen. Vor meiner ersten Reise nach Kenia hat mir genau das am meisten Kopfzerbrechen gemacht. Klar war ich neugierig, aber auch sehr unsicher, wie es mir damit gehen würde. Würde ich das verkraften? Würde ich danach Albträume haben? In Tränen ausbrechen? Aber ich dachte, nun, wenn sie es mir zeigen will, dann nehme ich dieses Angebot natürlich an. Mittlerweile weiß ich ja, dass jede/r, der mit Gabi vor Ort ist und sich engagieren will, mal ins kalte Wasser geworfen wird. Nach dem Motto: Wie robust bist du, hältst du das aus?
Nun, offenbar bin ich robust genug, ich halte es nicht nur aus, sondern empfinde es als Ehre und Segen, das tun zu können. Dass Familien uns ihre Türe öffnen, mich in ihre Leben blicken und helfen lassen, macht mich sehr dankbar. Meine Tränen bei Familienbesuchen beschränken sich übrigens auf Freudentränen. Dann grinst unser Michael, der (nach seinem Vater Mr. Karani) Gabi schon von allen am längsten in die Familien begleitet, mich immer an und nickt wissend. Ja, gerade wurde wieder ein Problem gelöst, ein Schicksal gewendet, ein Leben gerettet. Gabi lässt das so einfach aussehen, aber es berührt mich sehr.
Ich werde meine ersten Familienbesuche nie vergessen. Einer der Buben, Joseph, ist mittlerweile „meiner“, weil er irgendwann danach seine Patin verloren hat und ich einfach nicht anders konnte. Wenn man bei jemandem zuhause war, und dieser Mensch braucht dann Hilfe – wie könnte man ihm diese Hilfe verwehren?
Sarah Eidler
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